Magdalena Grandmontagne, Sfumato, o.T., 2022
Sidonie Bilger, au travail, La tempête d'oiseaux, 2023

Der Titel unserer Ausstellung weisst vordergründig auf zweierlei Dinge hin:

– auf das Medium bzw. die Materie einer alten Kunstform, und damit auch die lange Geschichte der Enkaustik;

– sowie auf die manuell gestalterische Arbeit, die mit Enkaustik-Malerei und ihrer schwierigen, anstrengenden technischen Anwendung mit den heissen, flüssigen Wachs-Farben verbunden ist.

Und “Anstrengung” ist ein Wort, das Magdalena Grandmontagne oft in der Bescheibung ihrer Kunst benutzt: sie hat die Enkaustikmalerei nun seit etwa 7 Jahren zum Schwerpunkt ihres kreativen Körperseinsatzes gemacht hat.

Ihre Prämisse aber, die sie von dem französischen Maler Pierre Soulages übernommen und für sich abgeändert hat, lautet:

„C’est en travaillant que je comprend ce que je fais.”

Die malerische und konstruktivistische Arbeit mit dem Wachs macht den Ausgang des Prozesses oft ungewiss, performativ undeterminiert, und damit auch magisch-animistisch. Das heisse  Wachs, mit den beigemischten Pigmenten, fliesst. Wie in den Sfumato Arbeiten schwebt die Landschaft, transluzid in einer Art magischen Nebel, sich unseren Blicken entwendend.

Das Entwenden ist eine herausfordernde ästhertische Technik in den Werkzyklen der Grandmontagne: Sie entzieht sich unserer Fähigkeit zu lesen und „Landschaften“ wiederzuerkennen. Gleichzeitig materialisiert sie Empfindung, ja Leidenschaft. Ihre „Unerhörten Gebete“ (Wachsbücher) sind geheimniscoll versiegelte Botschaften an die Menschen, die sich an die Tropfenhöhlen ihrer Palimpseste und diese verschlossenen Wissensverdichtungen, also Dichtungs-Kompositionen, heranwagegen, sich zutrauen, sie anzufassen.

 

(J. Birringer – Notizen eines Gesprächs im Studio der Künstlerin in Beckerholz, 19, Oktober 2023)

Sidonie Bilger erzählt eine Geschichte über den bekannten englischen Dichter, Kunstkritiker und Schriftsteller John Berger.

„Ich habe John Berger in seinem Haus in Paris besucht, in seinen letzten Lebensjahren. Er erzählte wenig aus seinem Leben. Ich wusste, dass er ein ausgebildeter Maler war. Er erklärte unter anderem, dass er sich dem Schreiben zugewandt hatte, weil er es ablehnte, Kunst zu machen, um bürgerliche Salons zu schmücken.

Er sah im Schreiben, im Journalismus, später in Romanen und Gedichten die einzige Möglichkeit, sich wirklich zu engagieren.  In den letzten Jahren seines Lebens hatte er wieder mit dem Zeichnen begonnen und zeichnete jeden Tag. Eines Tages, im Winter 2008/2009, wurde er von verschiedenen Zeitungen gebeten, über den Konflikt im Nahen Osten zu schreiben, der sich wieder einmal als tödlich erwiesen hatte.

Ich sah, dass er eher zeichnete als schrieb. Ich fragte ihn, ob er heute noch einmal die radikale Entscheidung treffen würde, die Malerei aufzugeben. Als Antwort auf meine Frage schenkte er mir die Zeichnung, die er gerade fertiggestellt hatte, eine schwarze Dahlie, und nannte das Werk Dalhia Text.

Er sagte mir, dass dies angesichts des Konflikts zwischen Israel und Palästina die einzige Antwort sei, die er heute anbieten könne.

Die heutigen Nachrichten haben den Beigeschmack der Vergangenheit. Blumen haben eine starke Symbolik, weshalb wir sie unseren Toten schenken.

Die Dahlie schwankt in ihrer Form zwischen Überschwang und Freiheit, während sie in ihrer Farbe in Traurigkeit versinkt.

Diese Bilder erinnern an meine Arbeit mit Pflanzenmotiven, die sich zwischen erhaben und katastrophal bewegen und gleichzeitig völlig künstlich und scheinbar verführerisch sind. Manchmal grenzen meine Bilder an das Seltsame, da sie nicht ganz gefällig sind.“

(Sidonie Bilger, Brief an J. Birringer, 6. Nov. 2023)