Erste Eröffnungsrede

von Wolfgang Birk (Leiter, Kunstverein Dillingen)

Liebe Kunstfreunde,

es ist mir eine große Freude, heute zur Eröffnung der Ausstellung von Werner Richner und Pit Molling in der Galerie Pusić reden zu dürfen. Mein Part betrifft die Kunst von Werner Richner. Wir dürfen heute Werke eines Fotografen betrachten, der uns mit seiner Kamera auf eine Reise zu den Schönheiten unserer Welt mitnimmt – sowohl zu den natürlichen als auch zu den von Menschen geschaffenen Wundern.

Werner Richners Fotografien zeichnen sich durch eine besondere Verbindung von Licht, Farbe und Form aus. In seinen Bildern hält er magische Momente fest, die uns zum Staunen bringen. Besonders in Zeiten, in denen unsere Umwelt immer mehr unter Druck gerät, ist es ein wertvoller Beitrag, wenn ein Künstler wie Richner uns die Schönheit der Natur vor Augen führt und sie uns bewusst macht.

Wie Johann Wolfgang von Goethe sagte:

„Schönheit ist überall ein gar willkommener Gast.“

Dieses Zitat könnte das Schaffen von Werner Richner kaum besser beschreiben. Denn seine Fotografie ist weit mehr als bloße Dokumentation. Sie zeigt uns nicht nur, was wir sehen können, sondern lässt uns spüren, was hinter den Motiven liegt – eine tiefe Wertschätzung für das Schöne in der Welt.

Zu den neuen Arbeiten zählt die Serie „Reflecting Rocks“, die Richner 2023 begann. Hier spiegelt er Felsformationen in spektakulären Farben und Formen auf der glatten Oberfläche eines Meeres im Dämmerlicht. Diese Spiegelungen lassen die Grenzen zwischen Realität und Illusion verschwimmen. Das Zusammenspiel von Licht und Natur bringt die Betrachter dazu, über die Vergänglichkeit und Beständigkeit der Natur nachzudenken.

Dabei ist die Schönheit kein bloßer Selbstzweck. Es ist die antike philosophische Verbindung zwischen „Wahr“, „Schön“ und „Gut“, die für Richner wichtig ist. Die gesprengten Bunker an der Küste der Normandie mit ihrer Lichtführung aus dem Westen sind auf ihre ästhetische Weise engagierte Mahnmale gegen den Krieg.

In der Serie „Street Life“ wendet sich Richner der Architektur zu und zeigt, wie Menschen die strenge Geometrie moderner Bauwerke mit Bewegung füllen. Auch hier führt uns der Künstler vor Augen, dass selbst im Alltag, in den uns vertrauten Städten und Orten, eine Schönheit verborgen liegt, die nur darauf wartet, entdeckt zu werden.

Richner selbst sagt, er sei „immer auf der Suche nach dem Besonderen, dem Ungewöhnlichen“. In dieser Suche kehrt er oft zu Orten zurück, die er bereits fotografiert hat, und entdeckt stets Neues. Diese Ausdauer, diese Geduld, den perfekten Moment einzufangen, spiegelt sich in all seinen Bildern wider. Eine seiner größten Stärken ist es, die ästhetische Besonderheit jedes Motivs herauszustellen. Es ist seine bewusste Auseinandersetzung mit Licht, Farben und Komposition, die uns die Welt durch seine Augen sehen lässt – eine Welt, die trotz ihrer alltäglichen Vertrautheit immer wieder neu und überraschend wirkt.

Neben Natur- und Landschaftsaufnahmen begeistert Richner auch durch seine Architekturfotografien. Seien es die monumentalen Bauten Santiago Calatravas in Lyon oder die Vierungskuppeln großer Kirchen, die durch ihre ornamentalen Muster und das Spiel mit Licht eine fast überirdische Schönheit ausstrahlen – seine Fotografien laden uns ein, die Welt aus neuen Perspektiven zu betrachten.

„Intensität beginnt dann, wenn die Zeit unwichtig wird.“, schreibt Richner. In dieser Aussage liegt das Herz seiner Arbeit. Seine Bilder fangen flüchtige Augenblicke ein, die sich unserer Wahrnehmung entziehen würden, wäre da nicht die Linse seiner Kamera, die uns die Ewigkeit in einem Moment offenbart.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal betonen, wie beeindruckend es ist, dass Werner Richner es schafft, mit seinen Bildern sowohl die natürliche als auch die von Menschen geschaffene Schönheit zu würdigen. Seine Werke lassen uns innehalten und nachdenken – über die Welt, über die Kunst und darüber, wie beides miteinander verbunden ist.

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Zweite Eröffnungsrede

von Johannes Birringer 

 

Verfall der Aura? Verschobene Topoi? Oder doch magische Momente?

Preface:

Der Verweis auf Walter Benjamins “Aura” Begriff bezieht sich auf seinen berühmten Aufsatz von 1935, in dem er die ästhetischen, sozialen und geschichtlichen Prozesse untersucht, die mit der technischen Reproduzierbarkeit von Kunstwerken einhergehen. Die Wahrnehmung von Bildern verändert sich laufend, denn die Darstellung von Wirklichkeiten unterliegt den Reproduktionsmöglichkeiten und –prozessen (und Benjamin spielte damit auf Mittel wie Druckgrafik, Fotografie oder Tonbandaufzeichnung an).

Unsere Ausstellung zeigt nun gerade solche bekannten und auch ganz neuen Mittel der Fotografie und der 3D-Printing Technik.

1.

Magische Moment der Fotografie sind die Augenblicke, so stellt man sich vor, in denen der Fotograf vielleicht nach einigen Bemühungen und Anstrengungen, aber auch durch Erfahrung und künstlerische Intuition geleitet, den richtigen Winkel und das genau gewünschte Licht für den Kamerablick gefunden hat. Der Fotograf drückt auf den Auslöser.

Die Kamera blickt dann auf die Landschaft oder das Gebäude, den Sand und das Gestein, den Bunker, die Bäume, das Wasser oder den Himmel, auf etwas Natürliches oder Menschliches, etwas Gebautes und Konstruiertes, und das Gegenüber wird festgehalten, vielleicht auch aus seiner Bewegung herausgerissen, zum Dargestellten auf die Bühne der Visualität gezerrt. The moment is frozen in time. [Es – das Gegenüber – erwidert den Blick; das Es ist die „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“, so definiert Benjamin die Aura als Erscheinung, ob Naturphänomen oder Gemälde bzw Kunstwerk.]

So wie sich vielleicht auch ein Schauspieler oder Tänzer plötzlich auf der Bühne wiederfindet, im offenen Raum, geopfert in alle vorhandenen Dimensionen. Das Bild hält die Bewegung fest, es ist geopfert [und Benjamin schreibt ja auch über frühe Kunstwerke als „Kultobjekte,“ ihnen haftet etwas Religiöses an]. Der Schauspieler ist jetzt auch erstarrt, wie eine Puppe leblos geworden. 

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Paul Virillios Bunker Archäologie ist eine Archäologie   der Zukunft, seine Fotografien zum ersten Mal ausgestellt im Jahr 1975: Das Centre Pompidou in seiner Gründungsphase zeigte Virilios Bunker-Archäologie parallel zum Erscheinen seines bahnbrechenden Buchs, mit demselben Titel, in dem alle Motive seines philosophischen Denkens bereits angelegt sind: militärischer Raum und Kommunikationskrieg, Täuschung und Beschleunigung, Geschichte der Grenzen, die unendliche Weite des Ozeans und des Luftraums.

Paul Virilio prognostizierte die Spätmoderne anhand der Bauten, die das Dritte Reich an den europäischen Stränden von der französisch-spanischen Grenze bis nach Norwegen errichtete. In Bunker Archäologie beschreibt er den drastischen kulturellen Wandel nach dem Zweiten Weltkrieg, den er als „Entmaterialisierung“ des klassischen Kriegsapparats betrachtet. Virilio schreibt: „Diese Betonblöcke waren in der Tat die letzten Überbleibsel der Geschichte der Grenzen“, vom römischen Limes bis zur Chinesischen Mauer; die Bunker, als ultimative militärische Oberflächenarchitektur, hatten an den Landesgrenzen Schiffbruch erlitten……. genau in dem Moment, als der Himmel im Krieg Einzug hielt. … Von da an gab es keine schützende Weite oder Distanz mehr, jedes Territorium war völlig zugänglich, alles war sofort dem Blick und der Zerstörung ausgesetzt.“

2.

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Pit Molling, „Reductionism II“,  Mixed-Media / 3D Print (Polylactic acid, wood), 2023, und Fotografien Werner Richners im Hintergrund [links]  Foto: E. Puzić // Pit Molling, „Half-Truth,“ Polylactic acid/3D Print (Polylactic acid), 2022 [rechts] 

Magische Momente des Nicht–Begreifens [oder “Mehr Stockhausen wagen”]

Pit Molling ist unser zweiter Gast in dieser Ausstellung, und mit ihm begrüssen wir zum ersten Mal einen Luxemburger Künstler hier bei uns in der Gallery Puzić in Saarbrücken.

Allerdings, mit Molling dürfen wir auch eine Zeitenwende in der Bildhauerei, der Plastischen Kunst, begrüssen, und jetzt stellt sich die Frage nach der Aura, und der technischen Reproduzierbarkeit von Kunst im Zeitalter der neuen Technologien vielleicht wiederum anders. Pit Molling arbeitet nicht mit den bekannten Materialien, wie Stein, Holz, Marmor, Bronze, Eisen, oder auch Wolle und Textilien (wie Katharina Krenkel es uns gezeigt hat zu Beginn des Jahres). Vielmehr hat er seine sogenannte “analoge” Ausbildungszeit (Plastische Kunst und Mixed Media) 2012 abgeschlossen, nach dem Studium an der Freien Akademie der bildenden Künste Essen. Er begann danach mit Zeichnen im digitalen Raum zu arbeiten –- und diese am Computer mit Software (Computer-Aided-Design / CAD) angefertigten Zeichenkonstrukte und Objekte mit dem 3D Printer auszudrucken.

Digital gesprochen, arbeitet Molling also mit Programmen. Nicht wie Richner mit Kamera unterwegs in Italien, Andalusien oder der Normandie, sondern im heimischen Labor in Weiler-la-Tour, am Rechner – und danach mit Verschmelzungstechniken und Klebern, wenn die vom 3D Drucker ausgepienen Bausteine zusammengefügt werden müssen. Seine Skulpturen entstehen im 3D-Druckverfahren mit Polymilchsäuren, mit geschmolzenem Bio-Kunststoff (PLA oder Polylactic Acid, auf pflanzlicher Basis hergestellt, also gleichsam mit “natürlichen Zutaten”). Allerdings kann der Drucker bei grösseren Objekten immer nur Teile, Fragmente ausdrucken. Das Software Programm für den Drucker heisst “Slicer”……(und da denkt man an das Texas Chain Saw Massacre oder an Fantasy und Games).

Also braucht es Zeit, und dann entstehen Half-Truth, Adaptive Cloud, A Borers Legacy, Manufacture III (Hand), Historical Byte, Evolving Echoes, oder der gerade noch soeben fertig werdende “Octopus” mit seinen sich krümmenden Tentakeln oder Blütenstengeln. Und die krümmenden Formen lassen auch eine andere, avant-gardistische Musik im Ohr erklingen, atonal, dissonant. 

 

Der Entstehungsprozess in der realen Welt ist daher ein Zusammensetzen, ein Verkleben der Nahtstellen und Adern – kann man es sogar vielleicht also ein „Zusammenschneiden“ bezeichnen, wie im Film (Schnitt, Editing, Cutting)? Die Texturen des Zusammenbaus dieser Kunstwerke und Kunsthandwerke sind oft ungemein faszinierend, und hier sehe ich eine Art Überbrückung unserer Positionen in dieser Ausstellung:

Pit Molling konterkariert, im Sinne von Entgegenwirken, der vorgeblich vielleicht sublimen, transzendentalen Fotografie von Werner Richner, die oft allerdings auch mit dem bewusst repetitiven Gestus des Gegenscheins (der Spiegelung) konstruiert ist. Richner ist draussen, in der Normandie, am Atlantic Wall, und wartet auf den einen Moment, in dem er mit Langzeitbelichtung einen gekippten, abgebrochenen Bunker an der Seekante festhält („Martialische Seemarke“). Er fotografiert „Dir Extravaganz,“ ein futuristisches Gebäude in Valencia. Seine Kamera fängt „Ordnung und Fortschritt“  in Aviles (Asturien) ein, eine Szene aus einer imaginären Mondlandschaft mit Kuppel, und ganz klein, einem kindlichen Radfahrer, der wie eine Fata Morgan dort als winzige Erscheinung auftaucht.

In vielen seiner Bilder sehen wir Gestein, erstarrtes Salz, stille Bäume und die ungewöhnlichen Flysch-Gebirge, aber auch architektonische Gebäude im Wasser gespiegelt, zwischen Himmel und Erde oder See. Die Spiegelung verleiht den in der Natur gefundenen Formen etwas Surreales oder Übernatürliches (wir sind hier im Kosmos von Caspar David Friedrich, und vielleicht dem der Romantiker mit Nietzscheanischer Ironie), denn wie können wir Richner, weltgereist, und nach seinen 8o Bänden von Fotografien, überhaupt noch einordnen? Vielleicht als hautnahen Porträtist/Fabulist, den nihilistischen Konstrukteur eines purifizierten, menschenleeren, ungegenständlichen, transzendenten Weltbildes? Menschen treten eigentlich nie auf in diesen Landschaften; vielleicht haben die Kriege und Klimakrisen sie hinweggerafft. 

Molling, gleichermassen, als Provokateur-Pionier einer neuen Plastik (nach Giacometti, nach Kokoschka (der sich einmal als den „letzten Maler“ bezeichnete), sowie als Nachfolder der Surrealisten, arbeitet auch abstrakt und purifizierend, doch nimmt er manchmal alte/historische Motive auf, oder sagen wir: Instrumente, wie diesen alten Wehrmachts-Bohrer dort, oder das kreischende Drehbankgestell unter „Adaptive Cloud.“ Wenn man es dreht, dann macht es kreischende Geräusche, wenn man es nicht berührt, ist es still. Und die Hand (Manufacture III) – ist sie nicht gleichsam eine ägyptische Skulptur, die Hand der Nofretete, ein künstliches Phantasma? Allerdings deuten die Evolving Echoes (ein wunderbarer Titel) auch auf den Prozess hin, der ganz konkret ist und in die Zukunft der KI weist: Produktion ist Zusammenbau, wie bei VW in Wolfsburg, Einzelteile werden vom Roboter zusammengeschraubt. Es entsteht etwas Neues, viele Teile sind zugeliefert, und wenn der 3D Drucker einen Fehler macht, dann entstehen vielleicht, wie bei Yamamoto oder Rei Kawakubo, ganz ausser-ordentliche asymmetrische Kombinationen von neuen Kleidern und Ecosphären. [Bitte bemerken Sie, dass Molling den abstrakten Formen oft auch ein Gestell aus Holz hinzufügt, einen konkreten “Unterbau”?]

Jetzt gäbe es noch viel zu interpretieren und zu analysieren, auch kontrovers natürlich, denn diese Ausstellung will Fragen aufwerfen, und Ihre Sinne beunruhigen. Bitte sprechen Sie mit den Künstlern, fordern Sie sie heraus. 

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(vielleicht eine überraschende Wendung auch hin zu Pit Mollings Architekturen)

Die Bunker – „Leere Hüllen“ – bieten eine materielle, taktile Erfahrung, die von einer Welt zeugt, deren physikalische Parameter radikal verändert, erweitert oder sogar ausgelassen wurden. Als Sinnbilder einer vordigitalen Ära, die durch eine technologische Übernahme zurückgelassen wurde, die wir uns vor zwanzig Jahren kaum vorstellen konnten, sind die Bunker verschobene Topoi, wie so viel von der modernistischen Architektur, die den Weg für eine erleuchtete Zukunft ebnen wollte, die nie eintrat. In ihrem heruntergekommenen Zustand verdichten die Bunker die Widersprüche der industriellen Moderne, deren bevorzugtes Material, Beton, an jede beliebige Form angepasst werden konnte, nur um dann zu einem von Menschenhand geschaffenen Fossil, einem sofortigen Relikt, auszuhärten.

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References

Virilio, Paul (2011), Bunkerarchäologie, trans. Bernd Wilczek. Wien: Passagen Verlag.

Secondary Source:

Olalquiaga, Celeste (2019), „Remains of the Fray,“ Artforum, vol.57, no.6.

 

Photos of the artworks are courtesy of the artists and Esad Puzić