«Besuch auf der Baustelle»

Beobachtungen zu Martin Steinerts „Wooden Cloud“ Projekt

 

von

Carsten Kempf

 

 

 

Der Klang der Kunst, er ist in diesen Tagen in der Gallery Puzić ein Sägen und Schrauben. Die Skulptur aus Holzlatten ist dem Bildhauer schon nach drei Tagen Bauzeit über den Kopf gewachsen und wirft an diesem sonnigen Januartag erste Schatten an die weißen Wände. Martin Steinerts deckenhohe Rauminstallation hat ihr Eigenleben. Sie ist sprichwörtlich größer als der Künstler selbst. Wie eine sich wallende Wolke wirkt sie, wie ein Hirn, wo sich synapsengleich die Latten kreuzen. Die Kunst, sie entsteht im Auge des Betrachters.

 

Martin Steinert, 64, spricht von „Holzskulptur oder Holzinstallation“. Er hat die Arbeit im Blick. 700 Meter Holzlatten hat er besorgt. „Die Hälfte davon ist verbaut“, sagt er und geht in den Hinterraum der Galerie, wo er sich einen Platz zum Sägen und Zuschneiden der Latten geschaffen hat. Er hat sich eingerichtet in den Räumen des Galeristen Esad Puzić. Ein kleines Radio dudelt Evergreens, daneben steht die Thermoskanne Tee. „Der Anfang geht immer relativ schnell“, sagt Steinert und befestigt mit einem Akkuschrauber aus Japan und 26mm langen Schrauben aus Deutschland die nächste abgeschnittene Latte. Die Arbeit habe etwas „Klausurhaftes“, meint er. Es gehe nur Stück für Stück.

Seine Gebilde aus Holzlatten haben schon in der halben Welt ihren Platz gefunden, im Westjordanland, in St. Petersburg, in Berlin oder Prag und auch in Saarbrücken – wo er 2015 anfing mit seinem „Wooden Cloud“ Projekt, als er in die Apsis der Johanneskirche eine hölzerne Wolke zimmerte. In Kirchen war er dann noch mehrmals tätig. “Ich bin nicht religiös“, meint er: „Das war Zufall.“

Abes es war auch ein Fingerzeig, wo Steinerts ausladende Installationen ihre größte Wirkung entfalten, nämlich im meterhohen Räumen oder unter freiem Himmel. Da ist die Arbeit in der Galerie Puzić, die sich an die „Wooden Clouds“ anlehnt, eine ganz besondere Herausforderung. Eine mit ausgeklügelter Vorbereitung. Wochenlang hat sich Steinert Gedanken gemacht, und wie vor jeder seiner bis heute rund 40 Latten-Skulpturen ein Modell gebaut.

 

Doch die durchaus elastische Konstruktion auf den stabilen Querverstrebungen muss der Künstler Latte für Latte in Form bringen. Seit 12 Jahren arbeitet er nun schon mit Stapeln aus dünnen und dicken Holzlatten, die er für dieses Projekt in einem Sägewerk besorgt hat. Sie liegen am Rand des Skulpturskeletts, sind mit Draht zu eckigen Bündeln verknotet, und wirken nicht, als könnten die Tannen- und Fichtenhölzer die Leichtigkeit einer Wolke versinnbildlichen.

 

Diese Fähigkeit hat sich Steinert in Jahrzehnten erarbeitet. Der gebürtige Saarländer, der in einem Steinmetzbetrieb die Bildhauerei erlernte und dann Kunstgeschichte studierte, fand über die Arbeit mit Stein und schweren Holzblöcken zu den Holzlatten. Er, der zuerst zehn Jahre lang als klassischer Steinmetz Grabsteine schuf, „als Alleinverdiener für Frau und Kind“, so Steinert, fand seinen künstlerisch ganz eigenen Ausdruck in den Holzlatten nach langen Experimenten. „Es fing mit ein paar Latten an“, erzählt er, „und ich bemerkte dann schnell, dass man damit großflächig arbeiten kann. Das Material ist leicht und kostet nicht viel.“ Und es ist überall zugänglich.

 

Leicht zugänglich. So ist auch Steinerts gestalterischer Anspruch. Seine Arbeiten sollen eine „gefällige“ Form annehmen, meint er. Sie sollen Menschen ansprechen und einladen, Teil zu nehmen. Diese Teilhabe ist eine Eigenheit und Besonderheit von Steinerts Skulpturen. Nicht nur seine „Wooden Cloud“ im Westjordanland war übersät mit Wünschen der Besucher, die ihre Anliegen mit Filzstift den Latten einschrieben. Auch in seinem letzten Projekt, der „Wooden Cloud“ in dem bei Saarbrücken gelegenen Grenzstädtchen Sulzbach, hatte jeder die Möglichkeit, einen Satz auf den Holzlatten zu hinterlassen – in diesem Fall zur deutsch-französischen Freundschaft.

 

Ihre Spuren auf dem hellen Holz hinterlassen sollen auch die Besucher der Gallery Puzić. Die entstehende Skulptur, die begehbar ist, trägt den Titel „Betreten auf eigene Gefahr“. Jeder Interessierte ist bei dieser Galerie-Arbeit Steinerts eingeladen, Gedanken zur Kunst auf den schmalen Holzlatten zu notieren, die Steinert dann in die sich auswachsende Latten-Wolke einbaut. „Kunst tut mir gut“ steht schon da und „Kunst ist nicht da, um Appartements zu dekorieren.“ Dieses Mitwirken an der entstehenden Skulptur freut den Künstler und den Galeristen gleichermaßen, die beide mit ihrem Titel zur Diskussion anregen wollen. “Was ist Kunst? Warum interessiere ich mich für Kunst? Was ist die Aufgabe der Kunst für die Gesellschaft? Was darf Kunst und wo sind ihre Grenzen?“ Diese Fragen stellten sich doch ganz automatisch, meint Steinert.

 

Er selbst kann nach rund 40 Jahren als freier Künstler noch keine Definition von der Kunst geben, hat er doch in all den Jahrzehnten ganz unterschiedliche Positionen von Berufskollegen- und kolleginnen kennengelernt. Performances mit zerschlitzten Leinwänden oder monochrome Farbflächen, „Kunst als Nachbildung der Natur oder als Abbild der Gesellschaft: Alles ist erlaubt“, meint Steinert, der sich selbst als Künstler bezeichnet, weil die Gesellschaft Bezeichnungen brauche und der nur eines weiß: „Es ist nicht einfach, seinen Weg zu finden in der Kunst.“

 

Steinert hat seine Bestimmung gefunden. Sein Material ist die Holzlatte. Das habe neulich einen Journalisten zu der Aussage verleitet, er mache doch immer das Gleiche. Das will Steinert so nicht stehen lassen. „Jede Skulptur ist anders.“ Der Maler habe seine Leinwand, er das Holz, das bei Steinert mal so aussieht wie ein gestrandetes Schiff oder ein anderes Mal wie ein orientalisches Gefäß – unterschiedlich geformt je nach Ort und Anlass der Skulptur.

 

Doch der Bildhauer geht in seinem Atelier im Kulturbahnhof in Saarbrücken auch andere Wege und arbeitet mit neuen Möglichkeiten der Technik. So lässt er Skulpturen im 3 D-Druck entstehen. Die technische Zeichnung sei dabei die künstlerische Arbeit – und das Zusammensetzen der Einzelteile zu einem Werk. Andere Ausdrucksmöglichkeiten in der Kunst, die hat Steinert auch: So fotografiert er die jetzt entstehende Skultpur und druckt diese Fotos auf farbige Holzdrucke. Sogar zum Pinsel hat er, der die informelle Malerei schätzt, neulich wieder gegriffen und eine Leinwand mit groben hellen Schwüngen gestaltet, die sich an die Form der Skulpturen anlehne – und die er genau wie auch die Farbdrucke in der Galerie Puzić ausstellen wird.

 

Steinerts Leidenschaft bleibt die Bildhauerei. Was mit seinen Skulpturen geschieht, nach dem er sie in drei bis vier Wochen zusammengezimmmert hat, liegt dabei nicht in seinen Händen. Ihn, der bei großen Arbeiten ein Team um sich versammelt, lässt das Ableben seiner Arbeit kalt: „Abbauen tun andere“. Steinert ist dann schon mit seinem nächsten Projekt beschäftigt. Seine Kunst ist gegenwärtig – und vergänglich. „Die Zukunft ist jetzt“: Dieser Satz könnte Steinerts Leitspruch sein.

 

Im Mai hat er Geburtstag hat, will auch mit dann 65 nicht in Rente gehen. Die nächste „Wooden Cloud“ ist schon geplant. Vier bis fünf davon macht er im Jahr und das soll so bleiben. „Ich höre erst dann auf, wenn ich nicht mehr die Leiter raufkomme“, sagt er trocken, obwohl er, der sich „geerdet“ nennt, eines noch nie gewesen sei: „schwindelfrei“.

 

 

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